Susanne Nückel

Zeitmanagement

Der Abschluß des Poetry Slam Workshops mit Martin Fritz in der Schule für Dichtung war eine Aufführung beim 20-Jahre-textstrom-Abend in der Wiener Brunnenpassage am 15. Juni 2024.

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20 Jahre textstrom, Brunnenpassage, 15. Juni 2024
20 Jahre textstrom, Brunnenpassage, 15. Juni 2024

Ich heiße Susanne Nückel.
Meine Eltern nannten mich Susi und sie nannten mich auch eine Trödlerin.

Ich liebe es, lange und ausgiebig zu frühstücken.
Einen Tag lang meine Wohnung aufräumen, um an Dingen hängenzubleiben, durchzublättern, neu zu sortieren und positionieren, extrem sauber zu machen.
Einen Termin sausen lassen, um durch fremde Strassen zu flanieren, Fassaden und Fenster anzuschauen (schließlich heißen sie ja auch „Schaufenster“), Menschen in ihrem Miteinander, Gegeneinander und Alleinsein zu beobachten.
Die über-, über-, übernächste Schnellbahn nehmen, um in einem Cafe eine Mehlspeise Bissen für Bissen zu genießen und in einer Buchhandlung verloren zu gehen.

Ich liebe es nicht, wenn mein Kalender voll ist und meine ToDo-Liste lang, mit lauter „dringlich“-Rufzeichen.
Wenn von allen Seiten an mir gezogen wird.
Wenn ich scheinbar keine Zeit mehr zum Duschen und Essen habe.
Wenn mein Herz wild pocht und zuwenig Platz im Brustkorb hat.
Wenn ich hyperventilierend und zittrig die gleichen zehn Schritte auf und ab gehe.
Wenn ich nur mehr denken kann: „Es ist mir alles zu viel“ und nur mehr fühlen kann: „Ich bin eine totale Versagerin“.

Ich liebe es, ausgeruht, satt, gut vorbereitet und pünktlich zu sein, wenn mein Feierabend verdient, mein Gegenüber unenttäuscht, mein Kühlschrank voll ist.
Das ist menschenmöglich – habe ich gelesen – mit gutem Zeitmanagement.
Managen ist eine Tätigkeit – habe ich gelesen – zur Bewältigung von Problemlagen und Konfliktsituationen.
Will ich das so sehen, dass Zeit per se ein Problem mit latentem Konfliktpotential ist?

Ich liebe es, die Dinge positiv zu sehen.
Also: ich sehe es so, dass Zeit ein Geschenk ist.
Ich darf auswählen, priorisieren, entscheiden. Ja oder Nein.
Ich darf nein sagen.

Nein zu Karriere mit Titel und sattem Kontoplus – und der Folge, dass ich Zeit mit Überlegungen zu Wettbewerbsstrategien und besten Investitionen verbringe.
Nein zu 100 m² Wohnfläche im Eigentum – und der Folge, dass ich Zeit mit Sorgen über Möblierung, Wertminderung und möglichen Erbstreitigkeiten verbringe.
Nein zu Klumpert – und der Folge, dass andere Menschen Zeit mit planetarem Raubbau und Energieverschwendung verbringen.
Nein zu Informations- und Unterhaltungsüberfluß – und der Folge, dass ich keine Zeit mit Verdauen, Reflektieren und Philosophieren verbringe.

Ich liebe die Idee der Gedenkminute.
Sie schenkt Stille, was in unserer lauten Zeit ein Segen ist.
Sie schenkt Zeit, was überhaupt das Wertvollste ist, das wir haben.
Ich liebe es, zu schenken.
Wenn die Freude der Beschenkten in ihr Gesicht springt und ich bestenfalls umarmt werde (was ich liebe).

Diese Resonanz fällt halt leider komplett weg bei Gedenkminuten. Wie schade.

Ich liebe es, beschenkt zu werden.
Ihr alle schenkt mir gerade das Wertvollste, das ihr habt!
Danke!

Ich schenke euch die restliche Zeit meines Fünf-Minuten-Auftritts. So als Denkminute. Macht damit, was ihr wollt!
Denkt zum Beispiel darüber nach, ob ihr auch eine Trödlerin sein wollt.

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Bitte. Gern geschehen.

#Poetry · 16.06.2024