Susanne Nückel

Bist du deppert

Mein zweiter Poetry Slam Auftritt war am 1. Juni 2018 beim Open Stage des Klimacamps in Wolkersdorf. Hier der Text. Und hier eine Erklärung der österreichischen Phrase: https://www.stupidedia.org/stupi/Bist_du_deppert.

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Du bist mit der Gesamtsituation unzufrieden.
Du hast – trotz westlicher Standard-Sozialisierung und täglicher widriger Umstände – Deine Grundhaltung gefunden: anti-faschistisch, anti-rassistisch, anti-sexistisch, anti-imperialistisch, anti-kapitalistisch.

Bist du deppert.

Du fährst Rad.
Du trinkst aus Glasflaschen.
Du isst nur Bio-, regionale und unverpackte Lebensmittel – außer sie sind abgelaufen oder aus der Mülltonne gerettet.
Du wählst deine Shirts morgens nicht nach Farbe aus, sondern ob der Spruch drauf zu deinen Tagesaktivitäten passt.
Du spendest für attac.
Du hast ein Fairphone.
Du trägst Second-Hand-Klamotten.
Du hast nur aufladbare Batterien und einen Ökostrom-Vertrag.
Du bringst dein Kind täglich in die Kita und putzt dort jeden Mittwoch.
Du entrümpelst, verschenkst, spendest und siebdruckst dir Che Guevara auf eine zwölfte Stofftasche.

Bist du deppert.

Du führst in deiner WG-Küche stundenlange Gespräche über den Kapitalismus und seine Überwindung.
Du streitest mit deiner Schwester über US-Imperialismus.
Du erklärst den Nachbarn Monsanto, Amazon und Occupy.
Du diskutierst mit dem Rauchfangkehrer über rechte Politik.
Du bist wirklich ein großer Fan von persönlichen Gesprächen und sitzt beim Maturatreffen schweigend und staunend.

Bist du deppert.

Du bist nicht mehr Mainstream.
Du mahlst dir deinen zapatistischen Kaffee selbst.
Du bist Vereinsmitglied in einer Foodcoop, einer SoLa, einem Gemeinschaftsgarten – jeweils inklusive Dauerauftrag und irgendeinem Schlüsselcode.
Du hast gelernt, gegen den Strom zu schwimmen.
Du widersetzt dich Schönheitsimperativen, besitzt kein Make-up, einen BH (für besondere Anlässe) und trägst stolz deine Körperbehaarung.
Du schreist auf Demos.
Du weißt dich auf der richtigen Seite – gegenüber der unheiligen Dreifaltigkeit von Konzernen, rechten Arschlöchern und der gschissenen SUV-Fahrerin, die dich übersieht, weil sie scrollt.

Bist du deppert.

Du weinst vor dem Supermarktfleischkühlregal.
Du träumst von einem Leben am Bauernhof.
Du entscheidest dich für Natur statt Technik.
Du liebst es, im Hier und Jetzt sein.
Du achtest auf deine Gefühle und pendelst dich trotz Lärm und Reizüberflutung in deine Mitte.
Du hast gelernt, dein eigenes Saatgut zu beschriften und kiffst auch aus politischen Gründen.

Bist du deppert.

Du gehst auf Vorträge von Christian Felber und Vandana Shiva.
Du stehst auf der Beigewum-Mailingliste.
Du liest den Falter und die taz.
Du hast alle Globalisierungs-Atlanten im Regal.
Du wählst so weit links der Mitte wie nur möglich.
Du zitierst Karl Marx und Hannah Arendt.
Du kennst alle deutsch- und englischsprachigen Dokus über die sozial-ökologische Transformation.
Du hast Plakate von Adbuster und Anti-AKW am Klo hängen.
Du klebst nachts Sticker auf Verkehrsstangen.
Du änderst dein WLAN auf „SystemChangeNotClimateChange“Rufzeichen.
Du liest Paul Masons „Postkapitalismus“.
Du begreifst nicht, warum es neuerdings Fake News und Alternative Fakten heißen muss, wenn es doch einfach Lügen sind.
Du bist dir im Klaren über die Zusammenhänge von Macht, Medien und Meinungsumfragen.

Bist du deppert.

Du postest, teilst und likest auf Facebook.

Bist du deppert?

#Poetry · 04.06.2018