Zehn Jahre Bezirksrätin
2010 und 2015 wurde ich als Bezirksrätin angelobt. Was habe ich in dieser Zeit gelernt? Was möchte ich an einen Menschen weitergeben, der gerade Bezirksrät*in wird?
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- Setz dich hin und überlege dir, was du in fünf Jahren erreichen und was du verhindern willst. Schreib es auf und lass dich dran erinnern – am Handy, auf der Pinwand, ganz vorne im Notizbuch, mit einem Sticker oder einem Tattoo.
- Du bekommst eine neue Identität. Du bist Teil des politischen Systems. Dein Image ändert sich. Es kommt der Moment, wo du das erste Mal laut sagst: „Ich bin Politikerin.“ oder „Ich bin Politiker.“
- Du erwirbst neue Kompetenzen, andere vertiefen oder erweitern sich.
Du lernst das Magistrat und ihre Menschen kennen und ertappst sich
dabei, bei Erklärungen das Wort „Behörde“ ohne abwertenden Unterton zu
verwenden. Du redest viel und hast ständig mit Menschen zu tun.
Wildfremde Bürger*innen und Kolleg*innen. Du lernst, in einem Team zu arbeiten.
Es kommt von überall her Wissen auf dich zu – du verstehst mehr von der Welt und lernst mehr von ihren Problemen kennen.
Die Textsorten „Gesetzestext“ und „Protokoll“ werden Bestandteil deiner Lektüre. - Suche dir zwei Themen und fokussiere dich auf ein größeres Projekt.
Hab „Mut zur Lücke“ und geh lieber in die Tiefe und Länge bei deinem
Ding. Du machst dem Team eine Freude, wenn sie mit einem „das ist
ihr/sein Ding“ auf dich verweisen können.
Das politische Feld ist e r s c h ö p f e n d riesig. - Hab Geduld und Ausdauer. Du hast mit dem Magistrat, der Bevölkerung und den Medien zu tun.
Das Magistrat braucht für jeden Schritt einen Anstoss, hab die Einstellung, dass nichts von selbst passiert. - Wenn im Zweifel, ruf dir in Erinnerung, was du dir früher als Wähler*in oder Bürger*in von jemand wie dir jetzt erwartet hast. Frag dich, was sich die Menschen, die am Wahlzettel die Grünen angekreuzt und vielleicht sogar deinen Namen hingeschrieben haben, von dir erwarten. Sie wollen, dass du konsequent, verlässlich, mutig und nach den Grünen Grundwerten handelst.
- Du hast Verantwortung übernommen und Chancen bekommen. Nimm dich ernst und erweitere deinen Handlungsspielraum.
- Wenn sich menschliche Reibereien mit Kolleg*innen ankündigen, vergiss nicht,
dass ihr mehr gemeinsam habt als die anderen in der politischen
Bezirksarena.
Interne Konflikte kosten Zeit und Energie, wo doch eine Partei keine Familie oder Freundesclique ist. Blick nach draußen, in dieser Welt und diesem Bezirk gibt es für jede und jeden was zu tun. - Politik ist psychisch anstrengend. Power dich nicht aus und gönne dir Auszeiten.
Politisch unkorrekte Gespräche mit Vertrauten oder aus Prinzip in deiner Küche dienen der Psychohygiene. - Freu dich, wenn du Menschen zusammengebracht hast, und verbuche es als Erfolg.
- Finde den politischen Aspekt in deinem Alltag: bist du die einzige Person mit diesem Problem/Konflikt oder ist es ein gesellschaftliches, politisches? Sollte es auf politischer Ebene gelöst werden?
- Erhalte das Feuer, indem du mit politischen Menschen außerhalb der eigenen
Partei Gespräche führst, liest und lernst, Kunst und Musik genießt,
spielst oder kreativ bist.
Geh nach draußen, schau dir deinen Bezirk an und rede mit den Menschen! - Buchempfehlung: Einführung in die Rechtswissenschaft
#Politik · 29.10.2020