Den folgenden Text habe ich beim Open Stage der Abschlußveranstaltung zur Ausstellung „Endlich Wachstum“ am 24. Februar 2019 im Schweitzer Haus, Wien vorgetragen.
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Transformation.
Von Ausbeutung, Gier, Katastrophen zu Gutem Leben für alle.
Von schlechtem Jetzt zu Guter Zukunft.
Von hier nach dort.
Transformation: eine Reise von hier nach Eutopia*.
(*Ein idealer Ort des Wohlstandes, der Gesundheit und des Glücks ist das, was wir wollen. Im Gegensatz zu Utopia, der unerreichbare Nicht-Ort.)
Sind Bücher zur Transformation also Reiseführer?
Könnten, sollten diese Bücher den Kapiteln eines Reiseführers entsprechen?
So gesehen: Was gibt es? Was fehlt?
Kapitel 1: Bücher der Bestandsaufnahme
Zahlen, Daten, Fakten,
geschrieben von Menschen der Wissenschaft und des Journalismus.
Stil:
Schulbuch – viel Text, viele Grafiken, wenig Bilder.
Wie fühlt man sich nach dem Zuklappen des Kapitels?
Deprimiert, aber gescheit.
So gescheit, dass man es anderen erzählt, ihnen unter die Nase reibt.
Bis sie genauso deprimiert sind.
Wie nützlich ist es für die Reise?
Man findet Gleichgesinnte.
Fazit: ungewöhnlich.
In keinem konventionellen Reiseführer findet sich ein Abschnitt zur Frage „Warum abreisen?“.
Kapitel 2: Die Welt, wenn wir so weitermachen
Dystopische Zukunftsszenarien,
geschrieben von ZukunftsforscherInnen.
Stil:
reicht von nüchterner Dokumentation zu reißerischen Sci-Fi-Blockbustern.
Wie fühlt man sich nach dem Zuklappen des Kapitels?
Panisch. Schwankend zwischen Flucht und Starre.
Bis man eine Entscheidung treffen kann,
kratzt man unter Tränen seine Ganja- und Blauburgunderreste zusammen,
greift zu Schokolade und loggt sich bei Netflix ein.
Wie nützlich ist es für die Reise?
Gerade noch Gleichgesinnte verabschieden sich:
Vergiß es, ich flieg auf die Malediven, solange ich noch kann!
Fazit: ungeeignet.
Eigentlich ein Anti-Reiseführer
Kapitel 3: Von Urban Gardening zu Zeit-Geld-Systemen
Praktische Informationen,
geschrieben von Autodidakten und Theoretikern.
Stil:
Handbuch – mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Erfahrungsberichten und persönlichen Tipps.
Wie fühlt man sich nach dem Zuklappen des Kapitels?
Theoretisch topinformiert.
Abreisebereit. Aktiviert. Angestachelt.
Es geht ja doch! Mehr davon!
Wie nützlich ist es für die Reise?
Theoretisch topwichtig.
Praktisch hohe Verzettelungsgefahr:
25 Methoden, die eigene Tomatenernte zu verarbeiten, um damit über den Winter zu kommen.
25 soziale Ansätze und ökonomische Konzepte, um den Diskurs anzukurbeln.
Fazit:
theoretisch praktisch.
Das sind die nie fehlenden zwölf Seiten auf hellblauem oder gelbem Papier am Anfang oder am Ende eines konventionellen Reiseführers.
Wo sich übrigens unter „Anreise“ immer mehr als ein Transportmittel findet …
Kapitel 4: Bilder der Zukunft
Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten nach der Transformation,
geschrieben von VisionärInnen
Stil:
die ausführliche Beschreibung eines Filmsettings
Wie fühlt man sich nach dem Zuklappen des Kapitels?
Abwesend. Keine Interesse an Spiel, Ablenkung, Unsinnigkeiten.
Die Gedanken kreisen:
Was werde ich dort essen? Wo werde ich schlafen? Was schau ich mir an?
Was mache ich dort den ganzen Tag?
Wie nützlich ist es für die Reise?
Es wird konkret. „Da will ich unbedingt hin!“.
Reisestrecke, Zwischenstops, Schwerpunkte, Reisemotto.
Fazit:
essentiell.
Das ist der fette, bunte Mittelteil jedes Reiseführers mit den Orten und Sehenswürdigkeiten, gewidmet der Vielfalt und Schönheit.
Kapitel 5: Wörterbuch
Die wichtigsten Begriffe und Redewendungen.
Stil:
weniger wie ein normales Wörterbuch, mehr wie eine Liste Unübersetzbarer Wörter
Wie fühlt man sich nach dem Zuklappen des Kapitels?
Wahrscheinlich unnötig besorgt um die richtige Aussprache.
Erfahrungsgemäß sind die Einheimischen freundlich und hilfsbereit.
Wie nützlich ist es für die Reise?
Andere Länder, andere Sitten, andere Sprache.
Fazit:
Unverzichtbar.
Kapitel 6: Geschichten
Dem Setting wird Leben eingehaucht,
geschrieben von ErzählerInnen, Romanciers.
Stil:
Belletristik
Wie fühlt man sich nach dem Zuklappen des Kapitels?
Ergriffen, sehnsüchtig, voller Fernweh.
So könnte sich diese Welt anfühlen.
So könnte ich leben.
Wie nützlich ist es für die Reise?
Wenn Romane wie 1984 uns nach 2019 gebracht haben? …
Fazit:
Nicht der sachliche Reiseführer bringt uns in ein anderes Land!
Der Krimi von Donna Leon bringt uns nach Venedig.
Der Western von Karl May nach Kroatien.
Die Liebesgeschichte von Rosamunde Pilcher nach Cornwall.
Die Satire von Ephraim Kishon nach Israel.
Das Kinderbuch von Astrid Lindgren nach Schweden.
Der Comic von Rene Goscinny bringt uns nach Gallien. Oder nach Rom, Ägypten, Spanien, Korsika, ins Morgenland, zu den Goten, den Briten, Normannen, Schweizern, Belgiern und Pikten.